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Non Fiction
Die Mitwirkenden
Printausgabe

Mondfahrt von J. Mahr

 

Ich glaube, dass Sommernächte etwas heller sind als Winternächte. Und in einer jener erleuchteten Nächte soll meine Geschichte beginnen.

Der Mond zog lautlos seine Bahn und ließ die weißgetünchten Häuser bläulich und die Felder grau schimmern; Alleine die Baumkronen schienen schwarz und dicht. Von Ferne drang der Lärm der Autos an das Ohr des alten Mannes, der seinen Oberkörper hin- und herwiegend, im offenen Fenster saß. “Menschen, die nie Zeit haben”, schoss es ihm durch den Kopf. Um wieviel lieblicher klang ihm da das Hundegebell aus dem Dorf, das Läuten der Kirchenglocken. Er schloss die müden alten Augen, die schon alles gesehen hatten, Freude und Leid, Leben und Tod; um sich die silbernen Paläste auf dem Mond vorzustellen, das schönste, daß er sich denken konnte. In seinem Geiste erschienen Türme, ganz aus weißem Porzellan, elfenbeinerne Säulen, gläserne Hallen, und alles überzogen mit feinsten silbernen Ornamenten, keltischen Knoten gleich. Er sah vor sich Schlösser von einer Schönheit, die selbst die prachtvollsten Bauwerke der Erde nicht annähernd erreichten. Unwillkürlich richtete er sein Gesicht dem Mond entgegen, und erst unmerklich, dann immer stärker zogen ihn unsichtbare Kräfte nach oben, heraus aus dem Fenster. Die Geräusche der Nacht waren verstummt, nun sprach eine feine Stimme leise und eindringlich auf den Alten ein.                  

“Komm nur”, sagte sie, “hab keine Angst. Ich will Dir die silbernen Paläste zeigen, von denen Du träumst. Komm.” Ganz in den Bann dieser Stimme geschlagen und vollkommen willenlos breitete er seine welken Arme aus, erhob sich - und flog! Er schwebte völlig frei durch die kühle, luftige Stille, immer höher, und hielt die Augen fest geschlossen, aus Angst, diese wunderbare Illusion zu zerstören, wenn er sie öffnete.

Allmählich wurde es kälter und eine sehr leise, hauchzarte Musik war zu vernehmen. Schließlich spürte er Boden unter den Füßen. Nun wagte er auch, die Augen zu öffnen und sah einen zierlichen Gebäudekomplex aus reinem Silber direkt vor sich. Ein schmales Türchen stand offen, durch die trat er zögernd ein. In den papierdünnen Wänden verirrte sich weißes Licht. Ein helles, gleichmäßiges Klacken näherte sich. Es waren die leichten Schritte einer Elfe, die er jetzt vor sich sah. Sie trug ein Hemdchen aus Schneekristallen auf dem Leib, ihr Haar schimmerte in der Farbe von Weidenblättern. Sie streckte eine Hand nach ihm aus. Er ergriff sie und fühlte, daß nichts menschliches in diesem Fleisch war, keine Wärme und kein pulsierendes Blut, und die Haut war glatt und trocken. Er ließ sich von der kleinen Elfe durch enge, verschlungene, aber hell erleuchtete Gänge führen, bis in einen kleinen Raum, dessen Grundfläche ein Dreieck war. So wurde der Raum nach hinten breiter. An der Wand, der Tür direkt gegenüber, saß auf einem Stühlchen aus hellem Bast mit hoher Lehne eine zweite Elfe, die den Alten zu sich herüberwinkte. Er folgte ihrer Geste und trat näher. Aus den Augen dieses Geschöpfes leuchtete pure Heiterkeit. Aber das Gesicht war im Ganzen ernst und starr. Als sie zu sprechen begann, erkannte der Greis die Stimme wieder, die von ihm Besitz ergriffen hatte, als er auf der Erde in seinem Fenster saß. “Dein Leben lang hast Du Dir erträumt, wie es wohl auf dem Mond ist, denn Du wusstest: da kann nicht nur Stein und Wüste sein! Ich will Dir ein paar Stunden gewähren, in denen Du Dich ein wenig bei uns umsehen kannst.”

Damit zog sie eine winzige Uhr an einer Kette aus den Falten ihres Hemdes hervor und gab sie dem Alten. “Doch höre”, sprach sie weiter, “die Uhr beginnt, lauter zu ticken, wenn Deine Zeit zur Neige geht. Wenn es soweit ist, kehre in mein Haus zurück, damit ich Dich sicher zurück auf die Erde geleiten kann.”

Er nahm die Uhr, bedankte sich und machte sich auf den Weg, die Herrlichkeiten des Mondes zu entdecken. Da standen noch zahlreiche andere silberne Häuser, und in den Gassen sah er manchmal Elfenkinder spielen. Er trat aus der silbernen Stadt heraus in eine hügelige, schneebedeckte Landschaft, in der hier und da Elfen beieinander standen und dünne Schichten Schnee abtrugen - wohl, um ihre Kleider daraus zu nähen.

Der Alte ging geradeaus, und es dauerte nicht lange, da kam er an einen Wald, dessen Bäume und Sträucher ganz und gar aus Kristall waren. Das Licht brach sich darin und strahlte in Regenbogenfarben. Schmetterlinge mit übergroßen Flügeln, ganz weiß, flatterten an ihm vorbei und machten dabei ein Geräusch wie das Klingeln von winzigen Schellen. Der alte Mann durchwanderte behutsam den Prismenwald und bestaunte das Farbenspiel des Lichts, Doch langsam fuhr ihm die Kälte in die Knochen. Nachdem er noch eine ganze Weile so gewandert war, sah er ein Flackern und Leuchten, das nichts anderes als Feuer sein konnte. Er ging darauf zu.

Vor ihm befand sich auf einem hohem, marmornen Sockel eine Flamme, die wie irdisches Feuer gen Himmel züngelte und tänzelte, doch sie war so unbarmherzig weiß und in ihrem Innersten so gleißend hell, daß der einzige treffende Vergleich vielleicht verbrennendes Magnesium gewesen wäre. Um dieses Feuer herum tanzten lange, filigran gebaute Gestalten mit übergroßen Köpfen, übergroßen ultramarinfarbenen leeren Augen, starren Gesichtern und zarten transparenten Flügelpaaren auf dem Rücken. Das seltsamste an ihnen waren aber wohl die Arme, bei denen vom Ellenbogen an drei Unterarme mit langen, siebenfingrigen Händen ausgingen, die dieselben geschmeidigen Bewegungen machten wie Algen im Meer.

Der alte Mann, in seine Betrachtungen vertieft, bemerkte zunächst gar nicht, dass das Ticken der Uhr lauter wurde. Als es aber zu noch größerer Lautstärke anschwoll, schreckte er auf, denn er musste sich beeilen, wieder in den Palast der kleinen Elfe zu kommen. Doch zunächst wollte er seine, von der Kälte schon ein wenig steif gewordenen Glieder am Feuer wärmen. So mischte er sich unter die Tanzenden, hielt seine Hände nah an die weiße Flamme, doch sie war eiskalt. Dies betrübte den alten Mann. “So viel Kälte bei so viel Schönheit”, dachte er bei sich und machte sich auf den Rückweg. Das Ticken der Uhr, die an der Kette um seinen Hals hing, wurde noch lauter, doch er konnte, so sehr er es auch versuchte, nicht schneller laufen. Die Kälte und seine Traurigkeit hinderten ihn. Er hatte den Prismenwald durchquert und befand sich mitten auf dem Schneefeld, als das Ticken seiner Uhr so laut geworden war, dass es seinem Trommelfell schmerzhafte Schläge zufügte.

Mit einem letzten, lauten Tick zog es ihn ruckartig nach oben und schleuderte ihn immer weiter, bis oben und unten sich vertauschten, und er fiel.

Sein Körper zerschellte direkt unter seinem Fenster.

Als der Bestatter ihn am Tage auflas, wunderte er sich über die kleine silberne Uhr, die an einer feinen Kette um seinen mehrfach gebrochenen Hals hing und unversehrt geblieben war.

Sie tickte leise.

 

Nebelwelten von Kerstin Hahn

Prolog

 

Es war ein kühler Spätsommerabend, die Sonne verabschiedete sich bereits hinter dem weiten Horizont und der erste Herbstnebel stieg aus dem hohen Gras zwischend den Bäumen empor.

Sie ging gedankenverloren einen Weg, nicht wissend wo er hinzuführen vermochte und atmete die frische Waldluft ein.

Erst hier konnte sie ihre Gedanken ordnen, innere Ruhe finden. Die vergangenen Stunden hallten ihr im Kopf nach und sie musste sich sehr konzentrieren, den Alltag mit seinen Grenzen und Barrieren aus ihrem Gedankenchaos zu verbannen.

Immer tiefer lief sie in den schützenden Wald.

Auf einmal erblickte sie alte Gemäuer, Ruinenwände, emporkommend aus den Tiefen des Waldes, mit einer dicken Moosschicht überzogen und gleichzeitig eine unsagbare Ruhe und Gelassenheit ausstrahlend.

Ihr Herz schlug schneller, als sie sich erst zögernd, dann mit einer tiefen Gewissheit dazu entschloss, den Weg in das Innere zu suchen.

Neugier, Abenteuerlust, Angst und ein unterschwelliges Verlangen befielen sie, doch die Anziehungskraft der alten Ruinengemäuer übte einen keine Widerrede zulassenden Druck, gar eine mystische Anziehungskraft auf sie aus.

Sie musste nicht lange suchen. Schnell hatte sie eine große hölzerne Eingangstür hinter einem schön geschmiedeten Eisenzaun erblickt.

Allem Unbehagen zum Trotz ging sie zielstrebig darauf zu. Sie blickte zum Himmel, dessen Horizont, sich in demglutroten Schimmer der untergehenden Sonne getaucht hatte und sie konnte den feuchten, aufsteigenden Nebel auf ihrer Haut spüren.

Die Zauntür quietschte, das Holztor knarrte und es kamen ihr die wildesten Gedanken in den Sinn, doch sie konnte dem Drang nicht widerstehen, der sie schier unaufhaltsam in das Innere der Gemäuer zog.

Ein alter Steinweg zeigte sich in kaum wahrnehmbaren Formen hinter der Tür. Er bahnte sich verschlungen, teilweise durch Laub und Moos verdeckt immer weiter in den Hof hinein, ein Hof umgeben von einem alten, dunkel gähnenden Klosterkreuzgang.

Ein Rabe flatterte mit wütendem Geschrei aus seinem Versteck, aufgeschreckt und gestört durch das ungewöhnliche Leben an diesem vergessenen Ort.

Sie blickte sich um, drehte sich im Kreis und glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Ihr Magen schien sich durch die innere Anspannung zusammen zu ziehen, kribbelnde Ungeduld durchfuhr ihren bereits leicht fröstelnden Körper.

Sie war hier nicht allein, zumindest nicht so allein, wie sie es bis zu diesem Zeitpunkt glaubte zu sein.

Überall schauten sie versteinerte und gleichzeitig sehr lebhaft wirkende Augen an. Augen von wundersam schönen und ästhetisch gehauenen Steinskulpturen.

Langsam begann sie, sich im Kreis zu drehen. Und immer mehr Augen richteten sich auf sie, scheinbar ohne eine Lücke schien sich der Kreis zu vervollkommnen.

Und jetzt bemerkte sie, dass der alte, steinerne Pfad, so unscheinbar unter Moos und Laub wirkend, geradewegs in das Zentrum dieser seltsamen versteinerten Versammlung führte.

Alle Skulpturen richteten ihren Blick geradezu auf sie. Eine wundersam mystische Vertrautheit wurde durch die irreale, so unerwartete Situation verströmt. Zwar verspürte sie eine gewisse Beklommenheit bei dem Bewusstsein, hier so verlassen zu stehen, nicht ahnend, wo genau sie sich befand und doch widerstrebte ihr jeder Gedanke, diesen einmaligen Ort wieder zu verlassen.

Sie spürte, dass jegliches Gefühl menschlichen Daseins hier existiert haben musste.

Hoffnung, Liebe, Angst, Freundschaft, Hass waren nebeneinander ebenso unverkennbar gegenwärtig, wie Glück, Leid, Wachsen und Vergehen.

Plötzlich glaubte sie ein Flüstern im Rascheln der Bäume zu vernehmen, gar Geschichten, die aus einer fernen Zeit wieder real zu werden schienen.

Doch eine innere Eingebung ließ sie zweifeln, ob die real empfundene Wirklichkeit auch der Realität entsprach, wie sie es bisher angenommen hatte, oder ob da nicht noch eine andere Wirklichkeit existierte.

Eine, die in dem alltäglichen phantasielosen Treiben nicht zu finden war, die sich all denen entzog, die einem sich selbst zerstörenden Phantom hinterher jagten, was in ferner, und doch niemals eintretender Zeit Geld, Ruhm und scheinbares Glück versprach.

Doch hier schienen Schicksale wieder real zu werden, die bereits seit vielen Jahren im Reich des Vergessenen lagen, weit ab von Zivilisation und atemlosen Menschentreiben.

Wo war sie hier nur, an was für einen Ort befand sie sich und welche unsichtbare, keine Widerstand duldende Kraft hatte sie hierher geführt?

Fragen, die sie nicht beantwortet bekommen sollte, das schien ihr zu diesem Zeitpunkt gewiss.

Die Schönheit und Eleganz der steinernen Skulpturen, die tiefe Innigkeit und Ruhe, die von ihnen ausging, ließen sie gedankenverloren von einem Gestein zum anderen wandern.

Jede einzelne Figur schien ihr ihre persönliche Geschichte erzählen zu wollen, anfangs noch ein schier undurchdringliches Wirrwarr an Worten und Geräuschen, und doch würde sich jedes einzelne mit der Zeit zu einem großen Ganzen zusammenfügen.

Mit den Händen berührte sie das warme Gestein, setzte sich zu Füßen einer alten, sehr weise wirkenden Frau.

Tiefe innere Ruhe und Zufriedenheit breiteten sich in ihr aus und sie begann, dem Flüstern in Gedanken zu folgen und begab sich damit auf eine Reise, bei der sie nicht wusste, wo und wann sie enden würde...

 

 

Der Narr von Jessica Christ

Teil I

 

Mark fuhr schon seit anderthalb Stunden auf der Grenzstraße durch den Wald. Er hatte gedacht, es wäre eine Abkürzung, doch nun wusste er seit mindestens dreißig Kilometern nicht mehr, wo er war.

Als er am frühen Abend in Altgrafen losgefahren war, hatte man ihn davor gewarnt, diesen Weg zu nehmen. Hätte er doch bloß darauf gehört.

Er hatte beruflich dort zu tun gehabt, denn als Journalist für einen größeren Verlag war es seine Aufgabe, mystische Vorfälle zu analysieren und Fakten zu sammeln. Dass die mystischen Ereignisse in Algrefen auf einen verrückten Mörder zurückzuführen waren, der in den Wäldern sein Unwesen getrieben haben soll, hob seine Laune nicht gerade.

Es war noch immer kein Ende der Straße abzusehen und er überlegte gerade, ob es klug wäre, zu wenden, doch sein Blick auf die Tankuhr verriet die Sinnlosigkeit dieses Plans. Er konnte nur weiterfahren und hoffen, dass der Wald bald ein Ende nehmen würde.

Nach einer weiteren halben Stunde erreichte er tatsächlich das Ende des Waldes, doch nun erstreckte sich eine weite, ebene Fläche vor ihm. In der Ferne glaubte er, eine Mauer zu erkennen. Doch diese Art von Mauer machte keine Hoffnung auf Zivilisation. Es waren nackte, graue Steine. Für ein Haus eindeutig zu hoch. Außerdem schienen sie uralt zu sein.

Während er noch darüber nachdachte, fing der Motor an, zu stottern und versagte seinen Dienst.

“Macht nichts...”, dachte er mit bitterer Ironie. “...die Straße war ja auch grad zu Ende.”

Er stand nun mit dem Wagen genau der Mauer gegenüber. Die Steine reflektierten das Licht der Scheinwerfer und tauchten die Umgebung in ein unheimliches Licht.

Alles war still. Keine Geräusche weit und breit.

Mark überlegte, ob er sich hinlegen sollte und auf den Tagesanbruch warten, als er ein Geräusch hörte. Das Blut gefror ihm in den Adern und ein Schock hinderte ihn daran, sich zu bewegen.

NARRENSCHELLEN!

Fast zwei Monate hatte er darüber recherchiert. Der verrückte Mörder trug Narrenschellen. Nach jedem Mord konnte man des Nachts ihren Klang in den Gassen der Stadt vernehmen.

Mark geriet in Panik. Sollte er das Licht ausmachen und sich ducken? Vielleicht waren es ja auch nur Jugendliche, die ihm einen Streich spielen wollten?! Diesen Gedanken schloss er jedoch sofort wieder aus. Woher sollten sie denn wissen, dass... Da!

Schon wieder die Narrenschellen. Doch diesmal viel näher als vorher. Hatte es sich beim ersten Mal so angehört, als würde jemand mit den Schellen spielen, klang es jetzt so, als käme jemand damit genau auf ihn zu.

Was konnte ihn retten?

Er konnte sich nicht daran erinnern, dass je einer die Begegnung mit dem Mörder überlebt hatte. Man hörte die Narrenschellen und am nächsten Tag fand man eine Leiche.

Mark machte sich klein und kauerte in seinem Sitz zusammen. Das Geräusch wurde immer deutlicher. Erst kam es von rechts, dann war es direkt hinter ihm.

Sein Atem war laut, er zitterte. Etwas berührte die Heckscheibe und Mark fuhr zusammen und versuchte, in Panik aus dem Wagen zu entkommen. Doch noch bevor er die Hand an der Tür hatte, wurde sie aufgerissen.

Für einen Moment konnte er ein Gesicht erkennen.

Wieder die Schellen,

dann war es vorbei...

Teil II

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